Töff im Tuff

Wenn man sich 11 Monate lang die Seele aus dem Leib geärgert und den Arsch im Bürostuhl breit gesessen hat wird es Zeit Urlaub zu machen. Weil ich noch dazu ein Großteil des Beruflebens im Hotel verbringe mag ich während des Urlaubs keines mehr von innen sehen und es kommt eigentlich nur noch Zelten in Frage. Ein bisserl Luxus möcht schon dabei sein: Ein geräumiges Zelt, mancherlei Kochgerät und und und. Und natürlich unsere kleinen Töff's, um die Umgebung unseres Lieblingssees intensivst zu erkunden. DerTurbodiesel verschluckt weniger Sprit als zwei Motorräder, an den Autobahnen in Italien und Österreich kostet der Hänger wenig, und die Anfahrt geht so relativ stressfrei vonstatten. Nach 10 Stunden entspannter Autofahrt das Ziel erreicht, Hänger abladen, Moppeds streicheln, Zelte aufschlagen, Abendessen, Ruhe.

Unser Reiseziel, der Bolsenasee in Mittelitalien, ist vulkanischen Ursprungs. Daher ist Tuffstein der vorherrschende Stein und damit auch Baustoff.

Am nächsten Morgen erstmal Sprit in die Emme tun, das ist bei den teilweise undurchschaubaren Öffnungszeiten italienischer Provinztankstellen wirklich angesagt. Zweitaktöl nicht zu Hause vergessen, denn an der Tanke gekauft muss das Zeugs im sonnigen Süden wohl Platin als Schmiermittel enthalten, so teuer ist das.

Der Frankenschnellweg, im Original (Bilder und Text von 1999)

Irgendwie erwische ich die Ausfahrt aus der Tankstelle in die falsche Richtung, nicht zu Weib und Kind, sondern am See entlang. Schon nach wenigen Metern fällt mir ein Schild ins Auge: VIA FRANCIGENA, und ein Pilger ist stilisiert mit abgebildet. Freilich, wir befinden uns am alten Pilgerweg nach Rom, der teils genau der Via Cassia entspricht. Der Fahrbahnbelag: Schotter!! Und tschüßß... Zwischen Weinbergen staube ich auf halber Höhe zwischen Kratergebirge un See entlang. Leicht haben sichs die Pilger nicht gemacht, nette Kurven, Steigungen und Gefälle machen den Ausritt interessant. Plötzlich ein Grillplatz mitten im Eichenwald, Sonntagsausflügler, ein Mineral - Brunnen, in dem Melonen zur Kühlung gelagert werden, ein paar wüste Serpentinen bergab, und ich lasse den Parco della Turona hinter mir, und habe mir das Schild gemerkt.
 

Ein Brüderchen dieses Schildes fällt mir tags darauf auf, als ich die Via Cassia in Richtung Siena nach Aquapendente ausprobiere. Foto, und rein ins Vergnügen.
 

Tatsächlich, Kilometer um Kilometer windet der Weg sich durch die Hügel, oft in Sichtweite des Sees, vorbei an Gehöften, Weinbergen, Feldern, durch ein Wildsau - Jagdgebiet (auf Schildern stehen sogar die Wochentage an denen gejagt wird), teils ist der Weg halb verfallen, teils bestens gepflegt, nie jedoch geteert. Immer wieder stoße ich in den folgenden Tagen auf diese Wege, immer macht es Spaß auf ihnen abseits der Hauptroute durch die Gegend zu bummeln, oder es auch mal kräftig stauben zu lassen. Irgendwann tauche ich in Bolsena auf.
 
Das Seeufer ist an vielen Orten leicht zugänglich, Felder reichen bis ans Wasser, oft auch durch einen Schotterweg vom Ufer getrennt. Eine Rundfahrt dauert so an die zwei Stunden, mit Tochter etwas länger. Die 14 - jährige frisst wie eine neunköpfige Raupe, entdeckt alsbald Weinberge und fällt drüber her.

Antikes und Fledermäuse (Bilder und Text von 1999)

Sehr typisch für Mittelitalien ist die Vielzahl der antiken Fundorte. Die großen Lehrmeister der Römer waren die Etrusker. Hervorragende Ingenieure bauten schon in vorrömischen Zeiten gewagte Brücken, wuchtige Stadttore und Befestigungen, und überall im Lande sieht man die Eingänge zu den Begräbnishöhlen dieses Volkes. Die Städte sind heutzutage oft kleiner als in der Antike, und die Nekropolen reichen quadratkilometerweit ins Land. Häufig bestehen diese Grabhöhlen aus mehreren Räumen, durchaus als Mehrzimmerwohnung durchgehend, bemalt, oder mit Reliefs aus dem täglichen Leben an der Wand. Sogenannte Columbarien (Taubenschläge) beherbergten Urnen. Ob es ein schlechtes Omen war, daß ich die Emmi in eines hineingestellt habe?? Mein Dnepr - Gespann und auch die Guzzi hatten dasselbe problemlos überstanden. Und noch eine Spezialität haben die Etrusker hinterlassen: VIA CAVA heisst das magische Wort, eine in den Tuff gegrabene Straße.Manche sind heute noch in Betrieb, manche aber auch durch die Hufe der Pferde so ausgetreten, daß die MZ mit beiden Fußrasten aufsetzte. Ein Versuch sie hinaufzuschieben endete mit einem Absturz in die Pferderinne, und einer grauslichen Buckelei rückwärts wieder hinaus. Die Weiterfahrt entschädigt aber leicht für alles, in einer der Höhlen habe ich eine Fledermauskolonie fotografiert: Die Viecher machten sich durch Fiepen in einem Spalt einer Höhle bemerkbar, ich habe die Digikamera reingehalten und auf den Auslöser gedrückt!
Weil von unten fotografiert, sieht man die Fledermäuse von oben, weil sie ja nach unten hängen...

Städte, seit 2500 Jahren ununterbrochen bewohnt (Bilder und Text von 1999)

Charakteristisch auch die Orte: Sie thronen seit Jahrtausenden, seit der Etrusker - Zeit, oben auf den Tuff - Felsen. Manch' ein Haus ist schon den Abhang hinunter gerutscht, manche Stadt summt und brummt aber auch heute noch vor Leben. Orvieto mit seinem herrlichen gotischen Domist ein Beispiel hierfür. Zur Zeit seiner Erbauung hat man noch viel Sorgfalt in Ornamente und Verzierungen gelegt. Aber schon lange vor der Gotik gab es diese Stadt schon, auch die Römer fanden sie schon vor (sie nannten sie urbs vetus, alte Stadt) , Spuren der Etrusker sieht man noch heute an Stadttoren und Begräbnisstätten. Ab 17°° Uhr laufen die Straßen über, alles trifft sich, Mopeds knattern, Handies klingeln, aus Eisdielen und Bars trällert Musik, und für einen Espresso (Cafè nennt man das) ist immer die richtige Zeit. Auch der Polizist stellt seine Dienst - Vespa (früher fuhr er Ducati oder Guzzi) beiseite und macht Pause.

Römerstraße (Bilder und Text von 1999)

Die ganze Gegend wird von der Via Cassia durchquert. (Cassius stradam fecit lernten wir einst, als ob der Konsul Cassius selber die zentnerschweren Pflastersteine gerückt hätte.) Noch heute stehen viele römische Meilensteine entlang der SS2, die auch heute noch Via Cassia genannt wird. Hier der Stein an der Meile 66 (route 66 antik). Mitten in der Pampa fand ich eine Wegstrecke der Cassia, die später zum Pilgerpfad Francigena gehörte und heute nicht mehr benutzt wird. Hier wird auf einem Schild die Strassenbaukunst der Römer erklärt: In der Mitte erhöht das, was wir als Römerstraße kennen für die Wagen, links und rechts daneben gut gepflegte Sandwege mit Unterbau für die Pferde. Weil die Pferdespuren etwas tiefer lagen als der gepflasterte Weg, konnte man leichter vom Pferd absteigen. Vielleicht ist das der Grund für das Vorherrschen des Rechtsverkehrs? Viele Touren und Toürchen gab es noch, nach Saturnia an die Schwefelquellen, an den Lage di Mezzano, der völlig versteckt und einsam, aber als Naturreservat vor sich hin döst, durch die Selva ...... , auf Schotterwegen durch abgelegene Gegenden, wo die obligaten wilden Köter oft Jagd auf mich machten, aber nach einigen Kilo Staub und Dreck in der Lunge entnervt aufgaben.
 

Dann war das Getriebe der MZ bei Kilometer 22513 kaputt, und der Urlaub sowieso fast vorbei. Servus, lieber See, seit 22 Jahren kenne ich Dich, und komme immer wieder.

Wiederholungstat (Bilder und Text von 2000)
...

 

Strada bianca heißt das Zauberwort! Es gibt noch Gegenden, in denen ein Motorradler sich's geben darf...

... und "viel Gegend" gibt's obendrein. Die Weinberge und Obstgärten werden natürlich in Ruhe gelassen!

Torre Alfina heißt der Ort ....

...und hier führen alle Wege nach Rom.

Tuscania war in der Antike (wie viele Städte dieser Gegend) viel größer als heute. Unbedingt sehenswert...

sind für den Romanik - Fan die Kirchen (v.a. Basilika Santa Maria Maggiore und Basilika San Pietro)

... wenn's aus dem Gebüsch nach "Maggi" riecht ist  nicht Liebstöckel sondern eine Wildsau drinnen 
 

Dieses Gebäude sieht zwar nicht so aus, ist aber ein nobles Hotel....

Eine schöne Motorrad - Tour bei 60° im Schatten führt zum Giardino dei Tarotti (Tarot - Garten) der verstorbenen Künstlerin Niki de St. Phalle. 

Montefiascone ist die Heimat eines Weines mit dem Namen EST! EST!! EST!!!. Ein Bischof aus der Familie der Fugger war auf der Reise nach Rom. Er schickte seinen Diener vor, um den Wein in den Herbergen zu testen. War der Wein gut, hatte der Diener EST! (lat. Er ist -gut-) über die Tür zu schreiben. In Montefiascone fand Herr Iohannes Fugger EST! EST!! EST!!! geschrieben, und ward nicht mehr gesehen. Angeblich hat er verfügt, daß jedes Jahr ein Faß Wein in sein Grab geleert werde, und angeblich geschieht das auch heute noch.

Töff im Tuff 2004

Um unseren Fuhrpark den Gegebenheiten dieser schönen Gegend anzupassen haben wir uns eine kleine Yamaha TW 125 zugelegt. Damit kann auch ein kurzbeiniges weibliches Wesen die vielen Schotter - "strade bianche" erkunden.
 

Via Francigena

Grotte di Castro

Grotte di Castro

Orvieto

nochmal Via Francigena

erste Fühlungnahme auf einer "echten" MZ ETZ 251

 

Töff im Tuff 2005
Im Gewirr der verschiedenen Via Francigena - Zweige nahe dem See geht es an einer verfallenen Pilgerstätte vorbei, für mich eigentlich nicht vorstellbar dass ein solches Heiligtum plötzlich keinen "Markt" mehr hat. Das Wetter ist 2005 im August / September nicht ganz stabil, die Wolken sorgen aber für fantastische Wolkenuntergänge.

Nicht weit weg im Tal der Orcia gibt es mehrere heisse, schwefelhaltige Quellen ähnlich denen in Saturnia, nur nicht so dreckig und Müll - verseucht. Damit das so bleibt werden die Orte nicht genannt (EXIF/IPTC -Wissende finden die Infos aber). Einer der beiden Orte hat keinen Marktplatz, sondern ein riesiges Badebecken gefüllt mit Thermalwasser. Das war im Mittelalter ein beliebter Kurort, heute darf man aber nicht mehr rein. Die Abflüsse wurden einst für Mühlen genutzt, und das Wasser sammelt sich unterhalb des Ortes in Badebecken die völlig frei zugänglich sind, teils spenden Büsche und Bäume sogar Schatten. Und alles ist sauber und naturbelassen. Der andere kleine Ort glänzt mit einem Thermalwasserfall, der in eine öffentliche Badeanstalt mündet. Ausserhalb der Badeanstalt ist aber auch das Baden im Thermalwasser möglich. Eindrucksvoll hier die blendend weiße Sinterterrasse.
 

Der Weg führt uns weiter zum Monte Amiata, am Kloster Abbadia San Salvatore mit seiner Krypta aus der Langobardenzeit vorbei. Wir landen schließlich nahe Seggiano im Park von Daniel Spoerri. Der Park von Bomarzo hat in den letzten Jahrzehnten viele Künstler inspieriert ebenfalls Ländereien zu erwerben und darin ihre eigenen Werke und auch die von Freunden auszustellen.

Manchmal ist die Gegend auch nicht ganz so zivilisiert: Ab in den Schotter! (Hier am Lago di Corbara)
 
 

Überall zwischen See und Gebirgskamm gibt es kleine Wirtschaftswege die immer wieder schöne Aussicht auf den Bolsenasee bieten.
 
Zünftiges Zelteln ergibt auch zwangsläufig zünftige Kochaktionen: Die kleinen Eigenheiten des Phoebus - Kochers (Duft, Rußflocken beim "Hochfahren") treffen nicht immer auf Gegenliebe. Ein Tierchen verlief sich gar direkt in unseren Kochtopf. Wir haben es allerdings mangels Masse verschmäht.

....Wird sicher fortgesetzt ....

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